Detmolder Erklärung

Die Detmolder Erklärung entsteht - Tagung im Sommertheater 2016 (c) Katharina Höhne

Im Rahmen der Arbeitstagung „Konzerte für Kinder – zur Etablierung und Professionalisierung eines jungen Berufsfeldes“ vom 11. bis 13. November 2016 in Detmold haben Teilnehmer/innen, Studierende, Dozent/innen und Alumni des Studiengangs eine Detmolder Erklärung zur Situation der Musikvermittlung erarbeitet. Zentral war dabei, Zukunftsthemen und Herausforderungen zu benennen, die die Musikvermittlung mittelfristig beeinflussen werden und auf die das Studienangebot in Detmold im Weiterbildungsstudiengang Musikvermittlung reagieren wird. Die Erklärung ist als Anfang eines Prozesses zu verstehen und fungiert als Selbstverortung.

PDF-Version der Detmolder Erklärung

 

Detmolder Erklärung

Zur Situation und Zukunft der Musikvermittlung für Kinder

Präambel

Die Detmolder Erklärung wurde von Musikvermittler/innen bei der Arbeitstagung „Konzerte für Kinder – zur Etablierung und Professionalisierung eines jungen Berufsfeldes” erarbeitet. Sie will die Herausforderungen und Zukunftsthemen von Musikvermittlung im beruflichen Alltag und damit auch für die Lehre und Ausbildung benennen. Sie dient damit dem Detmolder Studiengang Weiterbildungs-Master Musikvermittlung zur Selbstverortung und richtet sich als Impuls an die Fach-Community.

Herausforderungen im Berufsalltag

Das junge Berufsfeld Musikvermittlung hat sich in den letzten Jahren aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen stark weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es sowohl Musikvermittler/innen, die an Schnittstellen zwischen vielen verschiedenen Institutionen, Kunstsparten und Zielgruppen arbeiten, als auch solche, die sich auf einzelne Bereiche wie zum Beispiel Moderation oder die Entwicklung partizipativer Formate spezialisiert haben.

Mit der wachsenden Akzeptanz musikvermittlerischer Angebote steigt nicht nur der Bedarf an professionell ausgebildeten Musikvermittler/innen, sondern auch ihre gesellschaftliche Verantwortung. Zugleich werden die Aufgaben mit der zunehmenden Heterogenität des Publikums viel komplexer. Mehr Kooperationen verlangen einen höheren Zeiteinsatz für Kommunikation. Dem stehen kleine Zeitfenster und output- statt prozessorientierte Drittmittel-Budgets gegenüber. Diese prekären Arbeitsverhältnisse führen zu einer hohen Fluktuation von Musikvermittler/innen, ob in freier oder fest angestellter Beschäftigung. Kontinuität ist jedoch gerade in der Musikvermittlung ein wesentliches Qualitätskriterium für nachhaltige Arbeit.

Gesellschaftliche Herausforderungen

In einer sich rasant wandelnden Welt wollen wir als Musikvermittler/innen sensibilisieren für Musik als einen zentralen kulturellen Wert in einer vielfältigen offenen Gesellschaft, für die ästhetische Teilhabe aller Menschen – unabhängig ihrer soziokulturellen Herkunft – und damit für ein integratives verbindendes Miteinander. Wir möchten Raum schaffen für ein ganzheitliches Musik-Erleben und damit aktiv zu einem kulturellen Bildungsauftrag beitragen. Neben dem bewussten Fördern von Offenohrigkeit und Kreativität geht es uns um das Vermitteln von Empathie durch Musik. Dafür arbeiten wir mit verschiedenen Protagonist/innen aus Kultur und Bildung zusammen, was eine gute Kommunikation aller Beteiligter voraussetzt.

Kulturpolitische Herausforderungen

Wir verbinden mit unserer Arbeit und unseren Inhalten die politischen Ressorts Kultur, Jugend und Bildung. Deshalb stellt für uns die rigide Abgrenzung dieser Ressorts auf kommunaler, Landes- und Bundesebene eine der aktuell zentralen kulturpolitischen Herausforderungen dar. Wir stützen uns dabei auf den Abschlussbericht der Enquete Kommission Kultur in Deutschland (2007): Denn wir als Musikvermittler/innen verstehen uns als Teil eines „kohärenten, das heißt aufeinander aufbauenden und vor allem durchlässigen Gesamtsystems“. Wir stellen wie die Enquete-Kommission Kultur fest, dass es „zu übergreifenden Konzepten (…) bislang an einer etablierten Struktur“ fehlt. Hier „bedarf es (…) noch immer einer quantitativ wie qualitativ nachhaltigen Verbesserung.“ Darum müssen wir uns in unserem jeweiligen Umfeld auf allen föderalen Ebenen kultur- und bildungspolitisch vernetzen.

Mit Blick auf die Nachhaltigkeit unserer Arbeit, deren wesentlichstes Qualitätsmoment gerade in der Kontinuität der Kulturarbeit mit jungen Menschen besteht, benötigen wir dauerhafte Partnerschaften zwischen Kulturinstitutionen und Bildungsträger/innen. Mit Blick auf die oft fragilen Beziehungsstrukturen in Vermittlungsprojekten bedarf es zuverlässiger Kontakte zu politischen Entscheidungsträger/innen, die mit Blick auf die Komplexität und Dichte des Aufgabenspektrums und für die Modernisierung der Musikkultur handeln und auf unsere fachliche Kompetenz in der Sache vertrauen. In diesem Tun müssen wir im Blick behalten, dass unser Handeln nicht kultur- und bildungspolitische Defizite kompensiert. Das bedeutet: Wir erinnern an die im Grundgesetz und im Einigungsvertrag (§35, 3) formulierten Pflichten und fordern deren Erfüllung ein.

Fachliche Herausforderungen

Betrachten wir das Repertoire, das in Konzertangeboten für Kinder gespielt wird, so speist sich dies gemeinhin zum einen aus den Spielplänen der Konzertveranstalter/innen für Erwachsene und zum anderen, bei direkt konzipierten Konzerten des/r Musikvermittler/in, aus einem überschaubaren Spektrum an musikalischen Werken. Wir plädieren für eine größere und fantasievollere Repertoireauswahl. Eine fachliche Kommunikation zwischen dem/r Musikvermittler/in, dem/r Programmgestalter/in und den Musiker/innen bei der Erstellung des Konzertprogramms ist dabei zwingend erforderlich. Es ist eines der wesentlichen Qualitätsmomente von guter Musikvermittlung, bei der Wahl der vermittelnden Methoden die genannten Kooperationspartner/innen aktiv mit einzubeziehen. Dabei müssen die Charakteristika der Zielgruppe Kinder und Jugendliche immer im Blick behalten werden.

Ein gelingendes musikalisches Ereignis soll entstehen, mit einer hohen identifikatorischen Kraft zwischen ausübenden Künstler/innen und Publikum. Damit ist es auch Aufgabe der Musikvermittler/innen, als Grenzgänger/innen und Kommunikator/innen mit den Erwartungshaltungen des Publikums klug umzugehen, ggf. zu spielen, sie an geeigneter Stelle zu brechen und so den Mut zu innovativen, originellen Ideen zu entwickeln.

In Konzerten für Kinder ist es künftig noch wichtiger als bisher, die Kinder am Konzertgeschehen in echter Partizipation zu beteiligen. Dies setzt voraus, Kindern etwas zuzutrauen – ihnen auch zu vertrauen. Dies wird auch zur Folge haben, dass in Konzerten Phasen eingeplant werden, die nicht vom schnellen Wechsel geprägt sind, sondern Zeit und Raum für Details geben, so dass Fantasie geweckt, Gedankenspiele zugelassen und eigene Inspiration möglich gemacht werden.

Themen der Zukunft

Bedingt durch einen fortwährenden Wandel unserer Welt in kultureller, politischer und auch technischer Hinsicht, sehen wir Musikvermittler/innen uns für die Zukunft mit einer Vielzahl an neuen Themenfeldern konfrontiert, die zunehmend an Wichtigkeit gewinnen. Über diese gilt es, in Zukunft immer wieder neu nachzudenken. Das betrifft insbesondere die Vielfalt der Lebenswelten der Kinder. Gerade dieser Aspekt muss durch neue, künstlerische und vor allem passende Angebote für Kinder und Jugendliche in unserer Arbeit zum Tragen kommen. Hierbei ist der Begriff der Inter- und Transkulturalität von aktueller Wichtigkeit und spielt eine zunehmend größere Rolle.

Gleichzeitig müssen wir uns stärker als bisher mit den Mediennutzungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen – sei es durch Anpassung in Produktion und Technik oder einem aufgeschlosseneren Umgang mit Visualität und Raum. Wir wollen in den von uns entwickelten und verantworteten Musikvermittlungsangeboten gemeinsames Tun stärken.

Erforderliche Kompetenzen

Die Kompetenzen, die zum Berufsbild eines/r Musikvermittler/in gehören, lassen sich auf drei Ebenen darstellen:

  • künstlerisch-musikalische Sachkenntnis,
  • kreative Umsetzung
  • und ein großes Repertoire verschiedener Schlüsselqualifikationen in der Vermittlungssituation.

Der/die Musikvermittler/in bildet sich ständig fort und weiter. Im prozessorientierten Arbeiten komplettiert er/sie seine/ihre künstlerisch-musikalische Sachkenntnis und verfügt über die Fähigkeit zum selbstständigen musikwissenschaftlichen und pädagogischen Arbeiten und beherrscht Techniken der Beobachtung. In der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem musikalischen Material und der Befragung auf deren Inhalte entwickelt der/die Musikvermittler/in originelle Ideen, Konzepte und neue Formate.

Die Fähigkeit zur Beobachtung setzt große Offenheit, Neugier und vor allem die Bereitschaft voraus, dem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen. Die Schlüsselqualifikationen sind: Teamfähigkeit, Fähigkeit zur Begeisterung, Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Sensibilität, Souveränität und eine sympathisch-inspirierende Ausstrahlung.

Überdies ist der/die Musikvermittler/in in der Regel sein/ihr eigener Manager/in und Veranstalter/in: zielorientierte Konsequenz im Handeln, Know-How in technischen, wie Management-Fragen, Übernehmen von Verantwortung bis hin zu Finanz-Controlling gehören dazu.

Erforderliche Rahmenbedingungen

Gelingende Musikvermittlung benötigt als Rahmen vor allem die Möglichkeit zu einem konstruktiven Gedankenaustausch. Ungeachtet dessen ist eine hohe Eigenmotivation, auch zur fachlichen Weiterentwicklung und Selbstreflektion, erforderlich. Zu den tragfähigen Rahmenbedingungen zählt auch der ausreichend dimensionierte zeitliche und finanzielle Raum innerhalb eines professionellen Beschäftigungsverhältnisses. Angesichts der Komplexität der Arbeit eines/r Musikvermittler/in muss sich die Verantwortung in Zukunft in der Vergütung und im Projektbudget signifikant widerspiegeln.

Abschließend geben wir den Anstoß zu einer Zusammenarbeit aller bestehenden Netzwerke im mindestens deutschsprachigen europäischen Raum unter einem gemeinsamen Dach, um gemeinsame Ziele, wie die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und (auch rechtlichen) Rahmenbedingungen zu erreichen.

Detmold, November 2016